Ich weiß nicht wie ihr dazu steht, eure Kinder in die Obhut von Menschen zu geben, zu denen sie nicht gerne hingehen wollen. Ich rede hier von Verwandten, Freunden oder auch Nachbarn. Wie reagierst du, wenn dein Kind die Nähe bestimmter Menschen scheut ?? Übergehst du einfach den Wunsch deines Kindes oder hinterfragst du die Situation...?!
Ich war als Kind sehr oft in der Situation zu meinen Großeltern gehen zu müssen, obwohl ich dort nicht sein wollte. Leider haben meine Eltern (m)ein "nein" nicht akzeptiert und so schickten Sie mich immer wieder zu ihnen. Bei jedem Besuch befiel mich das gleiche panische Angstgefühl.
Ich wusste jahrzehntelang nicht, wo diese Angst speziell vor meinem Opa herkam... Viele Jahre später, ich bin inzwischen 29 Jahre jung, trifft mich die Erinnerung an meine Kindheit wie ein Blitz! Ich wache eines Nachts schweißgebadet auf, ich habe schlecht geträumt so scheint es mir - in meinem Kopf schwirren Bilder von meinem Großvater umher, wie er mich als 5-jährige sexuell missbraucht hat. Ein Alptraum wird Realität als ich begreife, dass dies kein schlechter Traum war, sondern ein Teil meiner Vergangenheit ist, den meine Kinderseele fest verschlossen hatte...bis zu diesem Moment.
Ich rede mit meinem Mann über alles, was passiert ist...Es beginnt eine sehr schwere Zeit in unserem gemeinsamen Leben, gestern war die Welt noch in Ordnung - heute stehe ich plötzlich vor einem Scherbenhaufen.
Die ersten 5 Monate nach diesem Alptraum versuchte ich die Bilder und Erinnerungen einfach zu verdrängen und so normal wie immer weiter zu Leben. Leider gelingt mir das nicht. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Mann zusammen bin, fühlt es sich an, als ob ich mit meinem Großvater schlafen würde und nicht mit meinem Ehemann. Es ist schrecklich!
Mich überfällt eine tiefe Traurigkeit, ich bin gelähmt und gleichzeitig fassungslos darüber, dass mein eigener Opa mir so etwas antun konnte. Mein Mann war zwar während der gesamten Zeit noch liebevoller und zärtlicher, als er es ohnehin schon ist, aber auch er wusste sich keinen Rat, wie er mir helfen konnte.
In mir steigen Gedanken auf, meinem Leben ein Ende zu setzen...Ich habe das Gefühl diesen Schmerz nicht länger auszuhalten, ich suche inmitten meines dunklen Labyrinths nach Licht, einen Weg heraus in ein normales Leben zurück. Oft überlege ich mir aus unserer Werkstatt ein dickes Seil zu holen, eine Schlinge zu knoten und auf den Dachboden zu steigen, dort wo der starke Querbalken ist...dann wäre es einfach vorbei, mein unsagbarer Schmerz hätte ein Ende...
Wie einige von euch vielleicht bereits wissen, bin ich ein sehr gläubiger Mensch, deswegen bin ich heute Gott zutiefst dankbar, dass er mein Leben in dieser schwierigen Zeit beschützt hat. Vielleicht fragst du dich jetzt warum Gott so etwas zulässt, meinen Missbrauch und all die Dinge, durch die ich danach gegangen bin. Dazu komme ich später...
Nach einigen extrem schweren Monaten entscheide ich mich eine Therapie zu beginnen. Langsam, Stück für Stück arbeite ich mich durch das Erlebte hindurch. Es ist ein langer Prozess und ich bin dankbar, für gute Therapeuten, die helfen an Geist und Seele gesund zu werden. Ich danke meiner Freundin H***a die in dieser herausfordernden Zeit immer ein offenes Ohr für mich hatte und mich auch immer wieder ermutigt hat weitere Schritte der inneren Heilung zu gehen.
Nach einem langen Jahr bin ich bereit zu vergeben, meinem Opa für das was er mir angetan hat und meiner Oma, die davon gewusst hat, aber geschwiegen hat, anstatt mich zu beschützen. Ich persönlich glaube, dass Vergebung ein wichtiger Schlüssel ist, um frei von der eigenen Vergangenheit zu werden, ganz gleich was vorgefallen ist.
2 Monate später wird es nochmals spannend. Ich fühle in meinem Herzen, das ich Kontakt zu meinen Großeltern aufnehmen sollte, um ihnen zu sagen, dass ich beiden vergeben habe. Ich ringe lange Zeit mit mir und dieser Anruf kostet mich unendlich viel Kraft - doch ich tue es. Ich rufe nach so vielen Jahren meinen Opa an und sage ihm das ich ihm vergebe. Mein Großvater ist inzwischen über 80 Jahre alt, als ich ihn mit meiner Vergebung "konfrontiere" schreit er nur noch ins Telefon. Er wisse gar nicht wovon ich spreche, derartige Dinge wären niemals passiert u.s.w. Bevor die Situation noch weiter eskaliert kommt meine Oma ans Telefon und das Schauspiel wiederholt sich. Beide streiten alles ab! Es ist für mich eine bittere Erfahrung, da ich insgeheim doch gehofft habe, auf "erwachsene" Menschen zu treffen. Ich bleibe am Telefon ruhig und versichere meiner Oma, das ich die Wahrheit sage, zumal ich mich in meinen Tagträumen selbst noch genau an die Bettwäsche im Schlafzimmer meiner Großeltern erinnere. Ich beende das Telefonat.
Einige Wochen später rufe ich nochmals bei meinen Großeltern an, diesmal nicht um zu reden, sondern nur um meine Meinung ein letztes Mal zu sagen. Ich sage beiden das ich Sie nicht verurteile, sondern das ich an einen göttlichen Richter glaube, vor den wir alle einmal treten werden. Warum Gott diese Dinge passieren lässt weiß ich nicht, ich weiß aber das jeder Mensch einen freien Willen hat und es liegt an uns selbst, ob wir uns für das "Gute" oder das "Böse" in unserem Leben entscheiden.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass meine Ehe jetzt noch tiefer verwurzelt ist, nachdem wir beide DAS alles durchgestanden haben, wir wissen beide, dass wir einander blind vertrauen können, egal was passiert. Auch mein persönlicher Glaube an Gott ist in dieser Zeit unglaublich gewachsen...
Ein altes Sprichwort sagt: "Aus Narben werden Farben" - was das bedeutet habe ich in meinem eigenen Leben erfahren. Durch professionelle Hilfe und Vergebung habe ich mir meinen Weg ins Leben zurück erkämpft und bin jetzt stärker als zuvor.
Und weil ich glaube das wir aus jeder Erfahrung in unserem Leben etwas Positives machen können, habe ich an der Schule meines Sohnes ein Projekt zur "Prävention von sexuellem Missbrauch" ins Leben gerufen, um unsere Kinder besser zu schützen. 70% aller sexuellen Übergriffe passieren durch Freunde, Familie und Nachbarn. Ich bitte euch, seid achtsam und nehmt eure Kinder ernst, wenn sie sich scheuen bestimmte Menschen in eurem Umfeld zu besuchen oder gar Angst vor ihnen haben. Ich hätte mir als Kind mehr Aufmerksamkeit gewünscht, dann wäre mein Leben vielleicht anders verlaufen.
Deine Ulrike
Liebe Ulrike
Ich finde es bewundernswert das du über dieses Thema schreiben konntest und es verarbeitet hast. Der Spruch aus Narben entstehen Farben ist wunderschön.
Ich wünsche dir für deine weitere Zukunft alles Gute
Sabine